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Die 1970er und 1980er Jahre - oder: Wie aus einem Militärnetzwerk die digitale Agora wurde

The History of Web: Als die E-Mail laufen lernte

Ray Tomlinson starrte auf den blinkenden Cursor seines Teletype Model 33. Es war ein grauer Herbsttag 1971 in Cambridge, Massachusetts. Der 30-jährige Programmierer bei Bolt, Beranek and Newman (BBN) hatte eine eigentlich simple Aufgabe: verschiedene Programme zu testen. Doch was er an diesem Tag erschuf, sollte die menschliche Kommunikation für immer verändern. Mit einem einzigen Tastendruck – dem @-Zeichen – erfand er die E-Mail, wie wir sie heute kennen.

“Die erste Nachricht? Ich erinnere mich nicht mehr”, würde Tomlinson Jahrzehnte später in Interviews sagen. “Wahrscheinlich war es etwas wie QWERTYUIOP.” Bescheiden, wie er war, ahnte er nicht, dass sein kleines Experiment der Startschuss für eine Kommunikationsrevolution war. Binnen weniger Jahre würde die E-Mail zum Herzschlag des entstehenden Internets werden.

Zur Reihe: The History of Web:

Mit der Serie “History of Web” laden wir Sie ein, die Meilensteine der digitalen Revolution zu entdecken. Von den ersten Konzepten der Vernetzung über den Aufstieg der sozialen Medien bis hin zur prägenden Rolle von KI und Blockchain beleuchten wir, wie Technologie unser Leben grundlegend verändert hat. Jedes Kapitel wirft einen Blick auf die Entwicklungen, die den Grundstein für die heutige digitale Welt legten. Tauchen Sie ein in die faszinierende Geschichte des Internets – von seinen Anfängen bis zu seiner Zukunft.

Die wilden Siebziger: Vom Militärnetz zum Forscherspielplatz

Während die Welt draußen zu den Klängen von Pink Floyd und Led Zeppelin tanzte, vollzog sich in den klimatisierten Rechenzentren amerikanischer Universitäten eine stille Revolution. Das ARPANET, einst als militärisches Kommunikationsnetz konzipiert, entwickelte ein Eigenleben. Die Wissenschaftler, die Zugang hatten, nutzten es längst nicht mehr nur für offizielle Forschungsprojekte.

“Wir waren wie Kinder in einem Süßwarenladen”, erinnerte sich Steve Crocker, einer der frühen Netzwerk-Pioniere. Die jungen Forscher tauschten nicht nur Daten aus, sondern auch Witze, philosophische Gedanken und – besonders beliebt – Science-Fiction-Diskussionen. Die “SF-LOVERS”-Mailingliste, gegründet 1975, war eine der ersten ihrer Art und bewies: Menschen wollten nicht nur arbeiten, sie wollten sich vernetzen.

Doch mit dem Wachstum kamen die Probleme. 1973 zählte das ARPANET gerade einmal 23 Hosts. Jeder kannte jeden, und die Kommunikation funktionierte wie in einem kleinen Dorf. Aber was würde passieren, wenn das Netz wuchs? Wenn nicht nur amerikanische Universitäten, sondern Computer weltweit miteinander sprechen wollten?

Das Protokoll, das die Welt verband

In einem unscheinbaren Büro in Stanford saßen Vinton Cerf und Robert Kahn über Papierstapeln gebeugt. Es war 1973, und die beiden arbeiteten an einem Problem, das so abstrakt wie fundamental war: Wie konnten unterschiedliche Computernetzwerke miteinander kommunizieren? Ihre Lösung – das Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) – war elegant in seiner Einfachheit.

“Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Brief von New York nach Tokio schicken”, erklärte Cerf später das Prinzip. “TCP/IP ist wie ein universelles Postsystem. Es ist egal, ob der Brief mit dem Flugzeug, dem Schiff oder der Bahn transportiert wird – er kommt an.”

Am 1. Januar 1983, einem Tag, den die Netzwerk-Community als “Flag Day” feiert, stellte das ARPANET komplett auf TCP/IP um. Es war, als hätte man allen Computern der Welt eine gemeinsame Sprache beigebracht. Das Internet, wie wir es kennen, war geboren.

Die achtziger Jahre: Gold Rush im Cyberspace

Wenn die Siebziger das Jahrzehnt der Pioniere waren, dann waren die Achtziger der digitale Goldrausch. 1984 führte das Domain Name System (DNS) eine Revolution ein, die so simpel wie genial war: Statt sich kryptische Zahlenfolgen zu merken, konnten Nutzer nun einfache Namen wie “mit.edu” eingeben.

Jon Postel, der “Gottfather des Internets”, verwaltete die ersten Domains noch handschriftlich in einem Notizbuch. Die erste kommerzielle .com-Domain – symbolics.com – wurde am 15. März 1985 registriert. Ein Jahr später folgten hp.com, ibm.com und sun.com. Die Unternehmen ahnten: Hier entstand ein neuer Kontinent.

Zur gleichen Zeit, 3.500 Kilometer entfernt, saß ein junger britischer Physiker namens Tim Berners-Lee in seinem Büro am CERN in Genf. Das europäische Kernforschungszentrum hatte ein Problem: Tausende Wissenschaftler aus aller Welt arbeiteten an Experimenten, aber der Informationsaustausch war ein Chaos. Berners-Lee, damals 35 Jahre alt, machte sich Gedanken über eine radikale Lösung.

Die Geburt des World Wide Web

“Vage, aber interessant” – so lautete der Kommentar von Berners-Lees Vorgesetztem Mike Sendall auf den ersten Projektvorschlag im März 1989. Was Berners-Lee vorschlug, klang zu fantastisch: Ein System, in dem alle Informationen der Welt durch “Hyperlinks” verbunden wären. Ein universelles Informationsnetz, zugänglich für jeden.

In seinem kleinen Büro im Gebäude 31 des CERN arbeitete Berners-Lee wie besessen. Er programmierte den ersten Webserver auf einem NeXT-Computer – einem schwarzen Würfel, den Steve Jobs nach seinem Apple-Rauswurf entwickelt hatte. Ein handgeschriebener Zettel warnte: “This machine is a server. DO NOT POWER IT DOWN!!”

Was folgte, war eine Kaskade von Erfindungen: HTML (HyperText Markup Language) als Sprache des Web, HTTP (HyperText Transfer Protocol) als Übertragungsweg, und die erste Website der Welt: info.cern.ch. Als sie am 6. August 1991 online ging, bestand sie aus wenigen Zeilen Text auf grauem Hintergrund. Keine Bilder, keine Farben, keine Videos. Und doch war es der Beginn einer neuen Ära.

Die deutsche Perspektive: Vom Zaungast zum Mitspieler

Während in Amerika und am CERN Geschichte geschrieben wurde, beobachtete Deutschland die Entwicklung zunächst aus der Ferne. Das Wissenschaftsnetz (WiN) verband seit 1984 deutsche Universitäten, doch der Anschluss an das globale Internet ließ auf sich warten.

Es war die Universität Karlsruhe, die 1987 als erste deutsche Institution eine permanente Internetverbindung erhielt. Professor Werner Zorn, der “Vater des deutschen Internets”, erinnerte sich: “Wir mussten die Behörden erst überzeugen, dass das Internet keine Gefahr, sondern eine Chance war.”

Die deutsche Gründlichkeit zeigte sich auch hier: Während amerikanische Studenten bereits munter E-Mails verschickten, diskutierte man hierzulande noch über Datenschutz und technische Standards. Ein Thema, das Deutschland bis heute prägt – und das sich in der heutigen DSGVO widerspiegelt.

Vom Werkzeug zur Kultur

Ende der Achtziger hatte sich das Internet fundamental gewandelt. Aus dem militärischen ARPANET war ein globales Forschungsnetz geworden, aus einem Werkzeug eine Kultur. Die ersten “Netizens” entwickelten ihre eigene Sprache, ihre eigenen Regeln, ihre eigene Etikette.

1988 ereignete sich ein Vorfall, der die Unschuld des frühen Internets beendete: Der Morris-Wurm, programmiert von einem 23-jährigen Cornell-Studenten, legte etwa 10% aller vernetzten Computer lahm. Es war der erste große Cyberangriff der Geschichte und ein Weckruf: Das Internet war verwundbar.

Doch die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. 1989 hob America Online (AOL) ab, CompuServe expandierte, und in Universitätsstädten entstanden die ersten Internet-Cafés. Das Netz demokratisierte sich, wurde bunter, vielfältiger – und kommerzieller.

Der Vorabend der Revolution

Als die Achtziger zu Ende gingen, stand das Internet an der Schwelle zur Massentauglichkeit. Die technischen Grundlagen waren gelegt: TCP/IP verband die Netzwerke, DNS machte sie navigierbar, und mit Berners-Lees World Wide Web wartete eine revolutionäre Benutzeroberfläche in den Startlöchern.

Was noch fehlte, waren drei Dinge: Grafische Browser, die das Web auch für Nicht-Techniker zugänglich machten. Bezahlbare Computer für den Hausgebrauch. Und Modems, die schnell genug waren, um mehr als Text zu übertragen.

All das würde in den Neunzigern kommen – und mit einer Geschwindigkeit, die selbst die kühnsten Visionäre überraschte. Doch das ist eine Geschichte für das nächste Kapitel unserer Serie.

Was bleibt

Die Siebziger und Achtziger legten das Fundament für unsere digitale Gegenwart. In dieser Zeit entstanden nicht nur die technischen Protokolle, die bis heute das Internet zusammenhalten. Es formte sich auch eine Kultur der Offenheit, des Teilens und der grenzenlosen Neugier.

Ray Tomlinson, der Mann mit dem @-Zeichen, starb 2016. Auf die Frage, ob er stolz auf seine Erfindung sei, antwortete er einmal: “Ich habe nur getan, was getan werden musste.” Diese Bescheidenheit war typisch für die Pioniere jener Zeit. Sie wollten keine Milliardäre werden oder die Welt beherrschen. Sie wollten Probleme lösen.

Heute, in einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz und Algorithmen unseren digitalen Alltag prägen, in der Unternehmen wie EHNES die digitale Transformation des Mittelstands vorantreiben, lohnt der Blick zurück. Die Geschichte des frühen Internets erinnert uns daran, dass große Innovationen oft klein beginnen – mit einem @-Zeichen, einem handgeschriebenen Zettel oder einer vagen, aber interessanten Idee.

Ausblick:
Im nächsten Teil unserer Serie „The History of Web” tauchen wir ein in die wilden Neunziger: Dotcom-Boom, der Browserkrieg und die Geburt der New Economy. Eine Zeit, in der aus dem akademischen Spielplatz ein Milliardenmarkt wurde – mit all seinen Chancen und Gefahren.

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